In diesem Hintergrund-Beitrag möchte ich ein wenig über Spiel-Entwicklung schreiben. Es wird also etwas theoretischer als in meinen Spiele-Tutorials. Aber ich habe mir einen Profi als Gesprächspartner geholt. Ihn durfte ich im Oktober 2018 zur Entwicklung von Frostpunk und zum DLC “Der Fall von Winterheim” interviewen.

Was dich in diesem Beitrag erwartet:

  • Der erste, theoretische Teil des Interviews gibt einen Einblick in die Wissens-Theorie.
  • Die Beispielen in Teil 2 bleiben ganz dicht am DLC “Der Fall von Winterheim” und am Basis Spiel Frostpunk dran.

Frostpunk der Fall von Winterheim

Die Gefallene Stadt. In diesem Frostpunk Szenario wirst du als Spieler zum Anführer einer Stadt, die du aus dem Basis-Spiel schon als gefallene Stadt kennst. Nichts lebte damals mehr in Winterheim.

500 Überlebende. In “Der Fall von Winterheim” leben dort noch 500 Menschen im Eis, um einen Generator herum. Der spendet Wärme und Energie. Dieser Generator fällt aber immer wieder aus, weshalb du die Evakuierung der Stadt organisieren musst. Jetzt zählt jede Minute und du musst schauen, wie viele Leute du aus der Stadt retten kannst, bevor dort alles zusammenbricht. Und du musst entscheiden, wen du opferst.

Weitere Inhalte zum Spiel. Detailliertere Informationen zum “Fall von Winterheim” findest du in meinem Gastbeitrag auf Survivethis.news , in dem Tutorial zum Szenario Der Fall von Winterheim und im Livesream zu #WinterhomeMustFall auf meinem YouTube Kanal.

Mein Interview Partner:

Jakub Stokalski ist Projektleiter und Senior Lead Designer für das Spiel Frostpunk.

Jakub an einer psychologischen Fakultät studiert und sich mit „Human-Computer-Interaction“ beschäftigt. Im Studium kam er in Kontakt mit dem Arbeitsfeld Spiel-Design und das macht er heute noch.

Geboren in Warschau, Polen, lebt und arbeitet er heute auch noch dort: Im Büro von 11 bit studios. Dort ist er bereits seit 3,5 Jahren.

Für das Interview haben wir miteinander telefoniert. Die theoretischen Gedanken am Beginn des Interviews habe ich dem Video von Jakubs Vortrag auf dem Digital Dragon Kongress 2016 entnommen und geben sie hier verkürzt wieder. Ich lege sie ihm dafür zu Beginn des Interviews in den Mund.

Teil 1: Die Theorie

Klabbi: Auf dem Digital Dragon Kongress hast du 2016 die These aufgestellt, dass Spiele nicht entwickelt werden, sondern entdeckt. Kannst du diesen Gedanken noch mal grob umreißen?

Jakub: Gerne. Ein Konzept kommt aus der Wissens-Theorie und kategorisiert unser Wissen über unser Projekt und das Projekt-Umfeld. Das Schaubild zeigt unser Wissen zu Beginn des Projekts:

 

  1. Dinge die wir wissen.
  2. Dinge die wir nicht wissen, aber wir wissen, dass wir sie nicht wissen.
  3. Und der Riesen Teil an Dingen, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen.

Das was wir klassischerweise unter Spiel-Entwicklung verstehen ist, das zu vergrößern, was wir wissen (1.), in dem wir das vermindern, von dem wir wissen, dass wir es nicht wissen (2.). Also beispielsweise einen Prototypen erstellen, eine Gameplay-Idee weiter ausfeilen, etc.

Wenn es aber um die dritte Kategorie geht, sind das Dinge, die wir so nicht bewältigen können. Das sind all die Dinge bei denen wir keine Ahnung haben, dass wir keine Ahnung davon haben. Hier brauchen wir die Erkundung: Wir entdecken Dinge, die wir nicht wissen (2.) und reduzieren so die Dinge, von denen wir nicht wissen, dass wir sie nicht wissen (3.).

Am Ende haben wir dann wieder Unbekannte, aber die können wir mit den bewährten Entwicklungs-Methoden bearbeiten.

Klabbi: Ok, harter Tobak aber theoretisch klar soweit. Ich hoffe, das wir nachher mit Beispielen noch klarer. Gibt es irgend ein Tool, das du empfehlen würdest, um in diesem Entdeckungs-Prozess nicht vom Weg ab zu kommen?

Jakub: Ja, dabei hilft ein wirklich richtig stabiles Kern-Konzept für das Spiel. Etwas, das in zwei Sätzen beschreibt, was die zentrale Erfahrung ist, die du dem Spieler vermitteln willst.

Das ist dann die Antwort auf die Frage: “Warum muss dieses Spiel gemacht werden?” Und damit meine ich jetzt den Design- und den kreativen Aspekt, auch wenn Antworten wie “Weil wir Geld verdienen müssen” natürlich ebenfalls richtig sind. Aber die zwei Sätze müssen deine Zielgruppe für das Spiel begeistern – es müssen nicht alle begeistert sein, aber deine Zielgruppe – sonst läuft etwas schief.

Klabbi: Hast du ein paar Beispiele für solche Kern-Konzepte?

Jakub: Klar. Hier drei Beispiele:

  • Ein First Person Shooter, in dem die Zeit nur läuft, wenn du dich bewegst: Superhot
  • Wie es ist, ein Zivilist in Zeiten des Krieges zu sein: This War Of Mine 
  • Ein Albino-Mutanten-Schlächter, der seine “Tochter” sucht und beschützt: The Witcher 

Teil 2: Beispiele aus “Der Fall von Wintereim” und Frostpunk

Jetzt schauen wir uns Frostpunk mal genauer an, was diese Gedanken zur  Spiel-Entwicklung angeht.

Klabbi: OK, dann lass uns das mal am Beispiel von „Der Fall von Winterheim“ durchgehen. Was war da das Kernkonzept?

Jakub: Ein Szenario, in dem man die Erfahrung macht, was Menschen tun, die den unausweichlichen Untergang kommen sehen. Also ein Prinzip des Basis-Spiels, das wir hier bis zur Grenze ausreizen wollten. Wir hatten am Anfang das Bild der sinkenden Titanic im Kopf. Da sind Menschen heldenhaft über sich hinaus gewachsen es gab Tragödien und  es haben sich menschliche Abgründe aufgetan.

Das war die der ganz abstrakte Ausgangspunkt und den haben wir dann heruntergebrochen. Daraus  entstanden die Ideen, dass der Generator ausfällt und die Spieler eine Stadt evakuieren müssen.

In fast allen Spielen besteht der Reiz ja darin, das Allmacht-Phantasien ausgelebt werden können. Der Spieler auf die ein oder andere Weise ein Superheld. Er kann zum Beispiel als Space Marine auf Aliens schießen oder als Zivilist in einer belagerten Stadt im Krieg überleben. Damit wollten wir in dem Szenario – oder im gesamten Spiel Frostpunk – brechen. Der Spieler sollte nicht das Gefühl haben, dass er problemlos alles tun kann. Er muss harte, fast unmenschliche Entscheidungen treffen und zum Beispiel entscheiden, wen er zum Wohle der Geretteten opfert.

Klabbi: Und was waren bei “Der Fall von Winterheim” jetzt die Dinge, die ihr wusstet und die Dinge, von denen ihr wusstet, dass ihr sie nicht wisst?

Jakub: Wir wussten (1.): Winterheim muss fallen. Das war ja aus dem Basis Spiel schon bekannt. Das hatten die Spieler ja auch schon erlebt, die die tote Stadt entdeckt hatten. Wir waren uns sehr früh auch darüber klar, dass die Stadt evakuiert werden muss.

Halb Winterheim ist zerstört, als du die Regentschaft über die Stadt übernimmst.

Wir wussten nicht, wie diese Evakuierung aussehen würde und ob alle Bewohner gerettet werden müssen, um das Szenario abzuschließen, oder nur einige. Aber da war uns zu Beginn klar, dass wir hierauf Antworten finden müssen (2.).

Klabbi: Und was waren Dinge, die in eure Blinden Fleck lagen, die ihr entdecken musstet, bevor ihr an Lösungen arbeiten konntet?

Jakub: Da war zum Beispiel die Sache mit dem Dreadnought, das Fahrzeug mit dem die Evakuierung stattfinden konnte. Den gab es in unseren Plänen am Anfang gar nicht. Da haben wir die Leute in eine Höhle in der Nähe evakuiert. Und dann haben wir das gespielt und dabei erst entdeckt, dass das so nicht funktioniert.

Das war etwas, von dem wir nicht wussten, dass wir es nicht wussten (3.). Das ist kein gameplay, das Spieler motiviert, wenn man einfach nur Gruppen von Leuten in die Höhlen schickt. Dann kann man noch einen Klick machen und dann drauf warten, dass das Szenario endet. Das war langweilig.

Auch interessant: Du möchtest mehr Interview und weniger Theorie Hier gibt es weitere Infos von Jakub

So kam der Dreadnough ins Spiel, der dem Spieler die Möglichkeit gibt, das Ergebnis zu beeinflussen: Wie viele Bewohner kann er letztlich retten, weil er das Fahrzeug weit genug ausbauen kann und was kann er dafür opfern, ohne dass in Winterheim eine Revolte ausbricht?

Klabbi: Und wie sieht das Ganze für das gesamte Spiel Frostpunk aus?

Jakub: Da wussten wir am Anfang, dass es darum gehen soll, eine Gesellschaft zu formen und die Frage zu stellen, wozu eine Gesellschaft fähig ist, wenn sie an ihre Grenzen gerät (1.). Aber wir hatten am Anfang keine Idee, wie wir das umsetzen würden.

Der Erkundungs-Prozess bestand aus verschiedene Prototypen und wir haben uns dann verschiedene Fragen gestellt. Im ersten Prototyp waren beispielsweise nur diese Situationen, wenn jemand gestorben ist und der Spieler entscheiden muss: wie wollen wir ihn begraben? Auf einem Friedhof? Oder verscharren wir ihn einfach im Schnee? Das hatte erst mal keine Folgen für das Prototyp-Spiel.

Später kamen immer mehr Entscheidungen dazu. Und wir entdeckten, dass wir wollten, dass der Spieler die Entwicklung der Gesellschaft planen kann. So wurde das Gesetzbuch geboren und wir hatten ein Tool, mit dem dieser Planungsprozess möglich wurde.

Klabbi: Vielen Dank für die Einblicke in diesen Entwicklungs-Prozess. Danke für das Interview.

Frostpunk Tipps

Weitere Beiträge zu Frostpunk findest du hier im Logbuch.

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